Vererbtes Leid, ewiges Leid?

Dass traumatische Erlebnisse über Generationen hinweg vererbt werden können, darüber scheint sich die Wissenschaft längst im Klaren zu sein.


Bezogen auf das Thema Kriegsenkel geht es um die schrecklichen Erlebnisse unserer Großeltern und Eltern während der beiden Weltkriege. Physische und psychische Misshandlungen wie Folter oder Vergewaltigung, unzählige Tote auf den Schlachtfeldern, oder auch Enteignungen und Vertreibungen prägten über Jahre hinweg das Leben dieser Generationen. Die Schrecken dieser Zeit schädigten nicht nur die Körper der Menschen, sondern auch deren Seelen. Viele von ihnen blieben stumm, wenn es darum ging, über das unsägliche Leid zu sprechen. Sie verdrängten, sie schwiegen, sie wollten vergessen. Auf Nachfragen gab es nur vage Antworten.

„Ihr wisst ja gar nicht, wie gut es euch geht.“

„Seid froh, dass ihr diese Zeit nicht erleben musstet.“

„Lernt etwas Anständiges und verdient euer Geld.“

Diese und ähnliche Aussagen waren der Versuch, die Vergangenheit zu verdrängen. Doch zwischendurch, wenn anhand irgendeines Ereignisses, einer Meldung in den Nachrichten, oder eines Artikels in einer Zeitschrift scheinbar ein Trigger ausgelöst wurde, verloren sie sich für einen Augenblick, für einige Sätze in dieser Vergangenheit, nur um kurz darauf wieder in das gewohnte Muster des Schweigens zurückzukehren.


Denn das Schweigen schützt die Seele.

Doch die Last des Schweigens heilt keine Wunden. Sie verkrusten nur, werden dadurch, wenn auch ungewollt weitergegeben, um dann eines Tages an ganz anderer Stelle, in einem anderen Leben, wieder aufzubrechen. Dann wird die Saat der unbewussten Trauer, der Angst vor Verlust und Schmerz, der Alpträume oder der Unruhe und Rastlosigkeit erneut seine Früchte tragen.


Kann man diesen Kreislauf unterbrechen?

Darauf gibt es wohl keine konkrete Antwort. Jeder Mensch, der davon betroffen ist, reagiert unterschiedlich in seinem Wesen. Die schlechteste Option ist wohl, darüber zu schweigen. Sicherlich ist es schwierig, bei einem Menschen ein transgenerationales Trauma zu erkennen, vor allem, wenn Symptome bereits in jungen Jahren auftreten, die sich nicht erklären lassen. Ich selbst bin erst im Alter von 62 Jahren auf dieses Thema gestoßen, und dies auch nur mit Unterstützung von entsprechenden Fachleuten. Doch je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr konnte ich mir meine Ängste, Beschwerden und Probleme erklären.

Es mag für Außenstehende schwierig sein, sich auf diese Erkenntnisse einzulassen. Für mich selbst habe ich eines festgestellt: Reden hilft. Darüber zu sprechen macht es leichter, diese Situation anzunehmen, Ereignisse und Begebenheiten aus der Vergangenheit zu verstehen, auch wenn man sie vielleicht (noch) nicht verzeihen kann.


Ein weiterer Punkt, den ich für mich als wichtig entdeckt habe, ist das Schreiben. Meine Kurzbiografie Schicksal Kriegsenkel zeigt zwar nur einige grundlegende Ereignisse meines Lebens, doch sind diese für mich die wohl entscheidenden gewesen. Je länger ich mich damit auseinandersetze, desto mehr Licht bekomme ich in meine Lebensgeschichte. Eine Unterbrechung dieses Kreislaufs scheint für mich durch die Akzeptanz und die Verarbeitung für den einzelnen Menschen möglich.


Wie lange wird es die Kriegsenkel noch geben?

Jeden Tag werden uns durch die Medien Bilder von hungernden, verletzten oder misshandelten Kindern und Jugendlichen aus den Kriegsgebieten auf der ganzen Welt vor Augen geführt. Man mag sich in keiner Weise vorstellen, was in diesen Menschen vorgeht. Kann man solche Erlebnisse folgenlos verarbeiten?

Solange der Mensch Kriege führt, wird es auch traumatisierte Menschen geben. Viele von ihnen werden nicht in der Lage sein, über ihre schrecklichen Erlebnisse zu sprechen und sie somit unbewusst an ihre Nachkommen vererben.


Vererbtes Leid, ewiges Leid!